Der tödliche Brandanschlag von Mölln 1992
Am 23. November 1992 setzten zwei Neonazis das Haus der Familie Arslan in Mölln in Brand. Bei dem Anschlag wurden die 10jährige Yeliz Arslan, die 14jährige Ayşe Yilmaz und die 51jährige Bahide Arslan ermordet. Weitere Familienmitglieder erlitten teils sehr schwere Verletzungen. Zuvor hatten dieselben Neonazis einen Brandanschlag auf ein weiteres Haus in Mölln verübt, in dem ebenfalls Menschen aus der Türkei lebten. Neun von ihnen waren dabei schwer verletzt worden.

Obwohl der rassistische Hintergrund der Taten sofort offensichtlich war, konzentrierten sich die ermittelnden Behörden zunächst auf die betroffene Familie Arslan. Zusätzlich zu ihrer Trauer wurde sie mit Verdächtigungen belastet: Die Opfer wurden zu Tätern gemacht. Institutioneller und gesellschaftlicher Rassismus und tödliche Gewalt haben Kontinuität – davon zeugen die Taten, die Ermittlungen und die gesellschaftlichen Reaktionen im Umgang mit den Opfern des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) und ihrer Angehörigen sowie vielen weiteren Betroffenen rassistischer Gewalt und ihrer Lieben.

Die Möllner Rede im Exil
Seit 25 Jahren kämpft Familie Arslan gegen das Schweigen in der Stadt Mölln und die Ignoranz gegenüber ihrer Trauer und ihren Forderungen.

Vier Jahre war die Möllner Rede ein Bestandteil der offiziellen Gedenkveranstaltungen in Mölln. 2013 wurde die Rede, die immer eine kritische Bestandsaufnahme zum gesellschaftlichen Rassismus und Neofaschismus darstellt, aus dem Gedenkprogramm der Stadt Mölln gestrichen. Es war nicht länger erwünscht, dass die Familie die Redner*innen selbst aussuchte. Seitdem befindet sich die Möllner Rede im Exil. Zum 25. Jahrestag wird sie in diesem Jahr gemeinsam mit der Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş in Berlin organisiert.

Rassistische Kontinuitäten
Damals wie heute ist rassistische und rechte Gewalt an der Tagesordnung und die Erinnerung daran umkämpft: Die Morde in Mölln ereigneten sich in einer Zeit rassistischer Hetze insbesondere gegen Geflüchtete, die auch Teile von Politik und Medien mit zu verantworten hatten. Mölln reihte sich ein in die rassistischen Pogrome von Hoyerswerda und Rostock, die Mordanschläge von Solingen und Lampertsheim. Nur zwei Tage vor dem rassistischen Brandanschlag von Mölln ermordete in Berlin ein Neonazi den Antifaschisten Silvio Meier.

Unabhängige Initiativen und Journalist*innen zählen für die Zeit seit 1990 bis zu 184 Todesopfer rechter Gewalt – allein in Berlin sind es mehr als 10. Auch gibt es viele weitere Morde an People of Color und Migrant*innen, bei denen niemals ein Täter gefunden wurde. Einer von ihnen war der damals 22jährige Burak Bektaş, der am 5. April 2012 völlig unvermittelt von einem unbekannten weißen Täter erschossen wurde. Ibrahim Arslan hat einmal gesagt: „Bei solchen Taten muss so lange von einem rassistischen Motiv ausgegangen werden, bis die Polizei glaubhaft das Gegenteil bewiesen hat“.

Vor allem im Zuge des gesellschaftlichen Rechtsrucks der letzten Jahre – mit rassistischen Mobilisierungen wie Pegida, den Wahlerfolgen der AfD und Verschärfungen des Asylrechts – bewegen sich auch heute rassistische Stimmungen, Bedrohungen, Gewalt und Brandanschläge auf einem erschreckend hohen Niveau. Die Situation erinnert teilweise an jene zu Beginn der 90er Jahre.

Eine Konsequenz: Selbstbestimmtes Gedenken
Inzwischen haben sich viele Angehörige, Überlebende, Betroffene und Aktivist*innen zusammen getan und erheben ihre Stimme – laut und leise, wütend und traurig, hoffnungsvoll und kämpferisch. Die diesjährige Möllner Rede im Exil wird Esther Bejarano halten. Die 92jährige Musikerin überlebte als Jugendliche Auschwitz und ist zugleich Zeitzeugin nicht nur ihres eigenen jahrzehntelangen Kampfes gegen (Neo-) Nazismus.

Esther Bejarano: Die Möllner Rede im Exil im Wortlaut. Berlin 2017

Liebe Familie Arslan, ich danke Euch!

Es war Euer Wunsch, der mich heute hier nach Berlin gebracht hat und der mich mit Euch, gemeinsam mit den vielen Menschen hier an Bahide, Yeliz und Ayşe gedenken lässt und ich danke Euch, da ich sehr gerührt darüber bin, ein Teil des 25-jährigen Gedenkens sein zu dürfen.

In der Türkei gibt es ein Sprichwort: „Das Feuer brennt dort, wo es hinfällt.“ Der Schmerz trifft die, die Leid erfahren haben. Ich spreche hier zu Euch als Eure Freundin, als Tochter und Schwester.

Meine Familie, sowie Millionen von Menschen, sind einer kranken und hasserfüllten Ideologie zum Opfer gefallen. Wir haben das gleiche Leid erleben müssen, wir mussten erfahren, dass geliebte Menschen AUS UNSEREM UND IHREM Leben gerissen wurden und unsere Welt ein Ort von Dunkelheit und Trauer wurde.

Es ist dieselbe Gesinnung, derselbe Hass und dieselbe Niedertracht, die uns unsere geliebten Mütter, Väter, Kinder, Schwestern und Brüder entrissen und uns ins Unglück gestürzt hat. Es ist der Rassismus, der so viele Menschen getötet hat und der auch heute noch tötet. Die gleiche Kälte und Ohnmacht, die wir spüren mussten und müssen, die gleiche Verzweiflung, allein und machtlos zu sein.

Ja, machtlos zu sein, denn es ist auch die Ignoranz und Akzeptanz der Politik, der Behörden, der Medien und leider auch der Gesellschaft, die uns, den Opfern, den Familien und unseren Freundinnen und Freunden das Gefühl gibt, machtlos und allein zu sein.

Ich musste zusehen, wie rassistische Richter, Ärzte, Beamte, Massenmörderinnen und Massenmörder unbehelligt weiterleben konnten, ohne für ihre grausamen Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Sie besetzten ihre gewohnten Positionen und Ämter und konnten unbehelligt ihren Nazismus und ihren Hass aufrechterhalten. Das war für uns unerträglich und hat dafür gesorgt, dass die Ideologie weiter leben konnte.

Der Nazismus und Rassismus wurde in diesem Land auch nach 1945 weder politisch noch gesellschaftlich so konsequent bekämpft, wie er hätte bekämpft werden müssen und können. Er konnte sich auch weiterhin in staatlichen Strukturen festhalten, vor allem im Verfassungsschutz und der Justiz, und ja sogar noch mehr, er konnte sich wieder ausbreiten.

Um es klar auszusprechen, ohne das Wegschauen und das Decken nach 1945 hätte es das Oktoberfestattentat, Rostock- Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Mölln und den NSU so nicht geben können. Es hätten aus den Erfahrungen und Ereignissen des Nationalsozialismus die richtigen Konsequenzen gegen den Hass gezogen werden müssen.

Es gab jedoch eine Toleranz gegen Täterinnen und Täter, und Nazis wurden und werden in diesem Land direkt und indirekt, durch politische Kampagnen und das Schweigen und Wegschauen ermutigt, weiter Hass und Leid zu verbreiten.

Das ist der rote Faden von damals zu heute. Es ist auch hier die gleiche Ignoranz und Akzeptanz – ja eine traurige und leidvolle Tradition, die wir zu verschiedenen Zeiten im gleichen Land erleben mussten!

Das Feuer brennt eben dort, wo es hinfällt!

Liebe Familie Arslan und liebe Familie Yilmaz, zum Glück sind wir mit unserem Schmerz nicht allein.

Schauen wir uns um: so viele Menschen, die mit Euch und uns gedenken und Euch stärken und damit den Widerstand gegen den Rassismus und Nazismus aufrechterhalten.

Denn dies ist auch eine Tradition und meiner Meinung nach die wichtigste Tradition, die es auch schon im Nationalsozialismus gegeben hat: – der antirassistische und antifaschistische Widerstand!

Ich verstehe Euren Schmerz, Ihr den meinen und die Menschen hier und viele auf den Straßen unseren gemeinsamen Schmerz. Wir leben, leiden und vor allem kämpfen wir gemeinsam.

Ja, wir sind nicht nur Opfer, nein wir sind Kämpferinnen und Kämpfer für ein gerechtes Gedenken, gegen das Vergessen und gegen Hass und Rassismus!

Wenn ich das sagen darf, ich bewundere Euch liebe Familien Arslan und Yilmaz. Ich bin glücklich darüber, dass Ihr Euren Schmerz und Euer Leid öffentlich macht und euch dafür einsetzt, mit den Menschen und Eurem Freundeskreis in Mölln und in ganz Deutschland gemeinsam Eurer Lieben, aber eben auch aller anderer Opfer rassistischer Gewalt zu gedenken und dass Ihr für Euer Gedenken derart einsteht und auch gegen Behörden und Instanzen ankämpft. Dass ihr in Schulen geht, Netzwerke unterstützt und anderen Opfern rassistischer Gewalt und ihren Familien eine Stimme verleiht und sie stärkt souverän und selbstbestimmt zu gedenken. Das ist auch unsere Auffassung von solidarischem Handeln und wir teilen die gleichen Beweggründe.

Ich sage immer, dass ich heute in Schulen gehe, mit Schülerinnen und Schülern rede, aufkläre, Konzerte gebe, schreibe, lese und diskutiere – das ist meine späte Rache an den Nazis! Lasst uns gemeinsam kämpfen und ab heute bin ich ein Teil Eurer Rache und Ihr ein Teil meiner Rache – für Bahide, Yeliz und Ayşe – und alle Opfer des NSU.

Liebe Freundinnen und Freunde, die Organisation des heutigen Tages verdanken wir der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş und dem Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge in Mölln 1992.

Die Morde an Oury Jalloh und Burak Bektaş sind uns eine Mahnung, in der Aufdeckung staatlich unterstützter rassistischer Komplotte nicht nachzulassen. Wir fordern heute auch Gerechtigkeit für Burak Bektaş und Oury Jalloh!

Ich bin mir sicher, liebe Familie Arslan und liebe Familie Yilmaz, dass meine Eltern und meine Schwester sowie Eure Lieben glücklich darüber wären, dass wir unser Gedenken an sie gegen das Vergessen und gegen den Hass einsetzen!

Esther Bejarano, 19.11.2017

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